Das Verständnis einiger Grundlagen der Elektrophysiologie ist zur
korrekten Interpretation eines Elektrokardiogramms (EKG) erforderlich.
Die elektrische Aktivität der kardialen Muskelzellen und -fasern besteht
aus einer Depolarisation gefolgt von einer Repolarisation. Dieses ist
bedingt durch eine Umverteilung verschiedener Ionen (Kalium, Kalzium und
Natrium) über die Zellmembran.
Kardiale Erregung
Unter der kardialen Erregung versteht man die gemeinsamen Phänomene der
De- und Repolarisation der Vorhöfe und Kammern.
Vorhofaktivierung
Die kardiale Aktivierung nimmt ihren Ausgang vom Sinusknoten, dem
physiologischen Schrittmacher, welcher am Übergang der Vena cava
superior zum rechten Vorhof gelegen ist (und sich bis zur Christa
terminalis ausdehnt); seine Aktivität ist nicht sichtbar auf dem EKG.
Diese Struktur besitzt einen Automatismus: Ihr Ruhepotenzial vermindert
sich kontinuierlich (diastolische spontane Depolarisation). Wenn das
Schwellenpotenzial erreicht ist, wird ein Aktionspotenzial ausgelöst.
Die Erregung wird auf die Vorhöfe übertragen, von wo sie sich von oben
nach unten und von rechts nach links ausbreitet, in Abwesenheit von
spezifischen Erregungsleitungsbahnen. Der rechte Vorhof wird zeitlich
vor dem linken Vorhof erregt.
Elektrokardiographische Konsequenzen
Die Vorhoferregung wird im EKG durch die P-Welle sichtbar. Der erste
Teil entspricht der Depolarisation des rechten Vorhofs, der terminale
Teil der Erregung des linken Vorhofs. Im Sinusrhythmus ist die P-Welle
normalerweise positiv in I, II, III und aVF, negativ in aVR. Die
frontale Achse befindet sich zwischen 0° und + 75°, die Dauer beträgt
zwischen 80 und 100 ms. Wenn die P-Welle negativ in den Ableitungen II,
III und aVF ist, dann erfolgt die Vorhoferregung retrograd (in
kaudo-kranialer Richtung). Dies findet sich bei bestimmten Formen von
supraventrikulären und ventrikulären Rhythmusstörungen. Wenn sie
negativ in I und aVL ist, erfolgt die atriale Depolarisation von links
nach rechts und beginnt im linken Vorhof. Zusätzlich zu den
Variationen der Achse kann die Amplitude und Dauer der P-Welle
variieren, wie in der ersichtlich ist. In ist eine normale P-Welle
abgebildet (Dauer < 100 ms). In besteht entweder eine Hypertrophie
des linken Vorhofs oder eine intraatriale Überleitungsstörung, beides
kann einen Doppelgipfel und eine Verlängerung der P-Welle (Dauer >
100 ms) bewirken. In besteht eine Hypertrophie des rechten Vorhofs mit
Erhöhung der Amplitude der P-Welle (> 2.5 mm in II oder in III).
Die AV-Überleitung: Das PR- bzw. PQ-Intervall
Die Erregung nutzt spezifische Leitungsstrukturen, um von den Vorhöfen
auf die Kammern zu gelangen: Den AV-Knoten (oder Tawara-Knoten), welcher
sich im basalen Teil des rechten Vorhofs befindet und durch das
His-Bündel verlängert wird. Dieses teilt sich in zwei Schenkel
(Tawara-Schenkel): der rechte Schenkel zieht entlang der rechten Seite
des intraventrikulären Septums, der linke Schenkel hingegen teilt sich
schnell in zwei Faszikel, einen vorderen und einen hinteren Faszikel.
Einige Autoren postulieren die Präsenz von drei Faszikeln oder sogar
eine multiple Aufteilung auf der linken Seite, aber das Konzept der zwei
einzelnen Faszikel überwiegt und wird im klinischen Alltag überwiegend
verwendet. Das normale PR- oder PQ-Intervall hat eine Dauer von 120 -
200 ms.
Elektrokardiographische Konsequenzen
Die Depolarisationen des AV-Knotens und des His-Bündels erscheinen nicht
auf dem Oberflächen-EKG; zwischen dem Ende der P-Welle und dem Beginn
des QRS-Komplexes, welcher die Kammererregung widerspiegelt, ist die
EKG-Linie isoelektrisch.
Die Kammererregung: Der QRS-Komplex
Die Kammererregung erfolgt sequentiell durch die Erregungsausbreitung
über das His-Bündel. Sie beginnt im mittleren Teil der linken Seite des
Septums, um sich nach rechts und nach vorne zu entwickeln: Der
resultierende Vektor hat die entsprechende Orientierung. In den
Ableitungen, die auf den linken Ventrikel gerichtet sind (I, aVL und V4
bis V6), ist initial eine kleine negative Q-Zacke erkennbar, welche der
Aktivierung des Septums entspricht, gefolgt von einer positiven R-Zacke
mit großer Amplitude, die der Aktivierung der freien Wand der linken
Kammer entspricht. Anschließend folgt die negative S-Zacke, welche die
Aktivierung der basalen Anteile der linken Kammer widerspiegelt.
Die Aktivierung entwickelt sich in Richtung der subendokardialen Anteile
des Myokards der Kammern: Der Vektor erfährt eine Rotation nach links
und nach hinten, dies verstärkt sich bis zur vollständigen Aktivierung
der Kammern, welche sich nach apiko-basal ausrichtet. Dieser Prozess
terminiert sich durch die Aktivierung der am meisten posterior gelegenen
Anteile der Kammer und des Septums.
Elektrokardiographische Konsequenzen
Der elektrische Vektor verändert aufgrund der oben beschriebenen
Vorgänge ständig seine Größe und Richtung. Abhängig von den Ableitungen
wird dies von einem dreiphasigen Ventrikulogramm reflektiert,
beschrieben durch die drei Buchstaben QRS (entweder mit kleinen oder
großen Buchstaben, je nach Größe der Amplitude).
In einigen speziellen Fällen besteht nach der S-Zacke ein zweiter
positiver Ausschlag (Aspekt rSR’). Die R-Zacke muss nicht vorhanden
sein, das Ventrikulogramm präsentiert sich in diesem Fall mit einer
einzigen negativen Deflektion (Aspekt QS).
In den präkordialen Ableitungen, welche den rechten Ventrikel
abbilden (V1 und V2), ist die Zacke der septalen Depolarisation (welche
in diesem Fall positiv wäre) in der Anfangsphase der R-Zacke verborgen.
Letztere hat lediglich eine kleine Amplitude und sollte > 0.5 mm in
V1, > 1.5 mm in V2 und > 3 mm in V3 betragen (falls diese
Werte nicht erreicht werden, spricht man von einer retadierten oder
verzögerten R-Progression). Sie ist gefolgt von einer tiefen S-Zacke,
welche das “Spiegelbild” der R-Zacke der linken präkordialen Ableitungen
darstellt (V5 und V6): Diese beiden Zacken entsprechen der Erregung der
freien Wand des linken Ventrikels. Im Verlauf nimmt die Amplitude der
R-Zacke zu und die der S-Zacke ab. Der sogenannte R-S-Übergang, d.h. der
Übergang der größten Amplitude von der S-Zacke auf die R-Zacke, erfolgt
meist in den Ableitungen V3 und V4. Falls dies vorher geschieht, spricht
man von einer “Drehung gegen den Uhrzeigersinn”, falls später von einer
“Drehung im Uhrzeigersinn”.
In den Ableitungen V5 und V6, welche dem linken Ventrikel
gegenüberliegen, findet man den klassischen QRS-Komplex der peripheren
Ableitungen, welcher eine kleine q-Zacke beinhaltet, deren Amplitude
nicht größer als ein Viertel der R-Zacke sein sollte.
Die ST-Strecke
Diese Strecke betrifft den Teil des EKGs zwischen Ende des QRS-Komplexes
(J-Punkt oder Übergang ST) und dem Beginn der T-Welle. Sie repräsentiert
den Zustand, bei dem sich das Ende der Depolarisation und der Beginn der
Repolarisation überschneiden. Sie ist meist isoelektrisch mit einer
Anhebung von < 1 mm in den peripheren Ableitungen, < 2 mm in
den rechten und < 1 mm in den linken präkordialen Ableitungen.
Die T-Welle
Die T-Welle spiegelt die Repolarisation der Kammern wider. Die Achse der
T-Welle in der Frontalebene entspricht derjenigen des QRS-Komplexes mit
einer Abweichung ± 15°. Normalerweise positiv von V1 bis V3 ist sie beim
Kind negativ. In der Ableitung V1 (und gelegentlich auch V2) kann die
negative T-Welle bis ins Erwachsenenalter persistieren, dies wird auch
“persistierende jugendliche Form” genannt. Die De- und Repolarisation
betreffen die gleiche ventrikuläre Muskelmasse, die Fläche unter der
Kurve der T-Welle und des QRS-Komplexes muss gleich groß sein. Es kann
allerdings vorkommen, dass dies auch bei Abwesenheit von kardialen
Pathologien nicht erfüllt ist, man spricht dann von “unspezifischen
Erregungsrückbildungsstörungen”.
Das QT-Intervall
Dieses Intervall entspricht der Dauer der elektrischen Systole der
Herzkammern. Die Dauer variiert abhängig von der Herzfrequenz. Für die
praktische Anwendung sollte die maximale Dauer bei einer Herzfrequenz
von 70/min nicht länger als 400 ms sein. Für jede Steigerung oder
Verminderung um 10/min verändert sich die Dauer des QT-Intervalls um
jeweils 40 ms (z.B. bei 80/min QT < 360 ms, bei 60/min QT <
440 ms etc.). Die Bazett-Formel erlaubt die Berechnung der zur Frequenz
korrigierten QT-Zeit (QTc). Eine QT-Zeit von über 440 ms gilt als
verlängert.
Bazett-Formel
QTm: QT gemessen in ms
RR: Intervall RR in Sekunden
QTc: QT korrigiert in ms
Die U-Welle
Bei der U-Welle handelt es sich um eine positive Welle, welche vor allem
in den präkordialen Ableitungen (besonders in V2 und V3) sichtbar ist.
Ihre Bedeutung ist umstritten. Zwei Hypothesen existieren zur Erklärung
der Entstehung der U-Welle. Es handelt sich entweder um eine verlängerte
Repolarisation der M-Zellen der Purkinje-Fasern, oder um eine
mechanischen Ursache, die in der Relaxation des ventrikulären Myokards
zu suchen ist. Die U-Welle ist wie folgt charakterisiert: Sie ist
sichtbar in den präkordialen Ableitungen (V2 und V3), ihre Amplitude ist
kleiner oder gleich 2 mm. Sie ist positiv in folgenden Situationen:
Gesunder Patient, deutliche Bradykardie, ventrikuläre Hypertrophie,
Hypothyroidie, Hypokaliämie, Hypokalzämie, Hypomagnesiämie. Sie ist
negativ in folgenden Situationen: Myokardischämie und verschiedene
linksventrikuläre Kardiomyopathien.