Vor dem Beginn mit der Beschäftigung mit Herzrhythmusstörungen sollten
einige elektrophysiologische Grundlagen in Erinnerung gerufen werden.
Die supraventrikulären Tachykardien
Die Konsequenzen einer Tachykardie hängen unmittelbar mit dem klinischen
Kontext zusammen. Um eine adäquate Therapie zu definieren, sollte man
zunächst, wie bereits beschrieben, die Tachykardien in zwei Gruppen
aufteilen: Zum einen in die Gruppe der Tachykardien mit schmalem
QRS-Komplex, welche praktisch immer supraventrikulären Ursprungs sind,
zum anderen in die Gruppe der Breitkomplextachykardien, welche meist
ventrikulären Ursprungs sind, bei denen es sich aber auch um eine
supraventrikuläre Tachykardie mit breitem QRS-Komplex handeln kann, wenn
gleichzeitig ein Block vorhanden ist (chronisch oder funktionell,
bedingt durch die Tachykardie).
Die Vorhoftachykardien
Es handelt sich um eine Tachykardie entweder bedingt durch einen
Makroreentry oder (häufiger) durch einen ektopen Fokus. Die Frequenz der
Tachykardie ist variabel, häufig regelmäßig zwischen 140 und 200/min.
Wenn die P-Wellen mindestens drei verschiedene Morphologien besitzen,
spricht man von einer multifokalen Tachykardie (wandering pacemaker,
wandernder Schrittmacher). Diese Tachykardie geht häufig einem
Vorhofflimmern voraus.
Die Richtung der Aktivierung des Vorhofs und damit die Morphologie der
P’-Welle hängt daher von der Lokalisation des Fokus ab, wie bei den
atrialen Extrasystolen.
Während der Tachykardie erfolgt die Überleitung der Erregung auf die Ventrikel
in der Regel in einem Verhältnis von 1:1, d.h. eine P’-Welle wird jeweils von
einem QRS-Komplex gefolgt. Im Falle einer sehr hohen Vorhoffrequenz oder bei
AV-Überleitungsstörungen kann ein AV-Block II° entstehen, in diesem Fall wird
nur jede 2. oder 3. P’-Welle auf die Ventrikel übergeleitet. Die P’-Welle ist
gut von den QRS-Komplexen separiert mit einem längeren RP’-Intervall als
P’R-Intervall (RP’ > P’R oder RP’/P’R > 1). Falls kein Block
vorbesteht oder sich funktionell aufgrund der Tachykardie entwickelt, ist der
QRS-Komplex schmal. Ein AV-Block II° kann durch “vagale Manöver” provoziert
werden (Kompression des Karotissinus oder Valsalvamanöver) oder durch
verschiedene Medikamente, welche die Überleitung über den AV-Knoten
verlangsamen, wie Verapamil, Adenosin, Betablocker und Digitalis. Das Auftreten
eines AV-Blocks kann zur Diagnose hilfreich sein.
Im Falle einer Tachykardie, deren Diagnose nicht gesichert ist, ist die
Karotissinusmassage empfehlenswert. Sie erlaubt:
Unterbrechung einer AV-Knoten- oder AV-Reentrytachykardie durch die
Unterbrechung der Überleitung über den AV-Knoten, welche für das
Aufrechterhalten der Tachykardie unabdingbar ist.
Durch Sichtbarwerden von P’- oder Flatterwellen, welche nicht von
einem QRS-Komplex gefolgt werden und damit leichter erkennbar sind,
kann eine Tachykardie diagnostiziert werden.
Die Morphologie des QRS-Komplexes ist normal, außer es besteht, wie
schon erwähnt, ein Block, bzw. es entwickelt sich ein funktioneller
Block. Dieser entwickelt sich, wenn es zu einer “Ermüdung” der
Überleitung in einem der Tawaraschenkel aufgrund der schnellen Frequenz
kommt.
Das Vorhofflattern
Es existieren verschiedene Typen des Vorhofflatterns: atypisches und
typisches. Die Herkunft des Vorhofflatterns kann rechts- oder
linksseitig gelegen sein (je nachdem, von welchem Vorhof das
Vorhofflattern seinen Ausgang nimmt), postinzisionell (nach einem
herzchirurgischen Eingriff) oder aufgrund eines kongenitalen Vitiums.
Das häufigste Vorhofflattern (über 90% der Fälle) ist das sogenannte
typische Vorhofflattern; es handelt sich um einen Makroreentry auf der
rechten Vorhofebene, welcher um den Trikuspidalklappenannulus mit einer
obligaten Passage zwischen Vena cava inferior und der Trikuspidalklappe
kreist. Die Frequenz der kreisenden Erregung ist ungefähr 300/min.
Auf dem EKG haben die Flatter-P-Wellen einen überwiegend negativen
Anteil in II, III und aVF mit einem vorausgehenden horizontalen oder
leicht deszendierenden Anteil, dem sogenannten “Plateau”. Diese
Flatterwellen werden auch “Sägezahnwellen” genannt, sie sind positiv in
V1 und negativ in V6. Wenn die Morphologie der Flatterwellen von
dieser abweicht, spricht man von einem atypischen Vorhofflattern.
Beim Vorhofflattern liegt die Frequenz der Flatterwellen zwischen 240
und 350/min. Die Frequenz der QRS-Komplexe variiert abhängig von der
Kapazität des AV-Knotens, die Vorhofimpulse auf die Kammern zu
übertragen. In der Regel liegt die Kammerfrequenz bei 150/min, das heißt
jede zweite Flatterwelle wird auf die Kammern übertragen. Seltener liegt
die Frequenz zwischen 75 und 100/min, dies kann durch die Wirkung von
die AV-Überleitung bremsenden Medikamenten bedingt sein. Die
AV-Überleitung kann auch vom Wenckebachtyp sein, mit “gruppierten”
QRS-Komplexen. Der QRS-Komplex ist in der Regel schmal, außer bei
Vorliegen eines Schenkelblocks. Erinnern wir uns, dass im Fall eines
breiten QRS-Komplexes auch immer an einen medikamentösen Effekt gedacht
werden sollte, vor allem auch an eine Intoxikation, beispielsweise mit
Antiarrhythmika. In jedem Fall sollte bei einer Tachykardie mit einer
Frequenz um 150/min immer an ein Vorhofflattern gedacht werden und zur
“Demaskierung” eine vagales Manöver durchgeführt werden.
Das Vorhofflimmern
Im Falle von Vorhofflimmern entsteht durch eine Vielzahl von
Mikroreentrys eine komplett desorganisierte Aktivierung der Vorhöfe,
welche schnell, unregelmäßig und unorganisiert ist. Die Vorhöfe folgen
nicht mehr dem Sinusknoten, die P-Wellen verschwinden, ersetzt durch
Vorhofflimmerwellen mit einer sehr hohen Frequenz (350 bis 500/min).
Ihre Morphologie variiert ständig bezüglich Amplitude und Dauer, welches
die Grundlinie “zittern” lässt. Die meisten der Vorhofflimmerwellen
werden im AV-Knoten blockiert, welcher die Funktion eines Filters
übernimmt und damit die Ventrikel vor den schnellen Frequenzen schützt.
Die AV-Überleitung ist völlig zufällig und die Abfolge der
Kammererregung unregelmäßig. Teilweise ist das Vorhofflimmern
intermittierend, wie z. B. beim fokalen Vorhofflimmern.
Der QRS-Komplex ist schmal, falls nicht ein Block vorbesteht oder
funktionell entsteht. Dies betrifft meist den rechten Tawaraschenkel.
Dieses Phänomen ist charakterisiert durch einen breiten QRS-Komplex mit
einem kurzen RR-Intervall, dem ein langes RR-Intervall vorausgeht.
Die Refraktärperioden der Tawaraschenkel sind abhängig von der Dauer der
vorhergehenden Diastole: eine lange Refraktärperiode folgt einer langen
Diastole. Wenn ein kurzes RR-Intervall einem langen RR-Intervall folgt,
kann die Überleitung im rechten Schenkel blockiert werden, da in diesem
die Refraktärzeit physiologischerweise länger ist als im linken. Dieses
häufige Phänomen, “Ashman” genannt, muss erkannt werden, da sonst breite
QRS-Komplexe falsch als ventrikuläre Extrasystolen interpretiert werden.
Das Sinusknotensyndrom oder das Tachykardie-Bradykardie-Syndrom
Wenn Episoden von Tachykardien oder Vorhofflattern /-flimmern mit
Episoden von Sinusbradykardien oder sogar -pausen abwechseln, spricht
man vom Tachykardie-Bradykardie-Syndrom. Dieses Syndrom ist praktisch
nur in einer 24-Stunden-Aufzeichnung zu diagnostizieren.
Diese Entitäten werden unter dem Sinusknotensyndrom oder
Sick-Sinus-Syndrom zusammengefasst, welches auch die bereits behandelten
sinoatrialen Blockierungen beinhaltet.
Die AV-Knoten-Reentrytachykardie (AVNRT, junktionale Tachykardie)
Die AV-Knoten- oder auch junktionale bzw. nodale Tachykardie, ist eine
Tachykardie, bei der in der Regel ein Makroreentry im Bereich des
AV-Knotens vorliegt, seltener ein ektoper Fokus mit eigener
Automatizität. Sie tritt meist bei einem gesunden Herzen auf.
Bei einer typischen nodalen Tachykardie (> 90% der Fälle) verwendet
die kreisende Erregung die langsame Bahn für die anterograde Leitung und
die schnelle Bahn für die retrograde Leitung (Vorhoferregung). Die
Aktivierung der Kammern (anterograd) erfolgt praktisch gleichzeitig mit
der Erregung der Vorhöfe (retrograd), dies führt dazu, dass die P’-Welle
häufig im QRS-Komplex versteckt ist. Manchmal ist diese allerdings als
kleine r-Zacke in V1 am Ende der QRS-Komplexe sichtbar. Seltener ist sie
in den inferioren Ableitungen als kleine, dem QRS-Komplex vorausgehende
q-Zacke erkennbar. Bei Abwesenheit von Erregungsleitungsstörungen
wird die Diagnose durch den Vergleich der EKGs im Sinusrhythmus und
während der Tachykardie gestellt.
Im Falle einer atypischen AVNRT (5-10% der Fälle) ist der Reentry
umgekehrt. Die anterograde Überleitung geschieht über die schnelle Bahn
und die retrograde über die langsame Bahn. Die P’-Welle ist in diesen
Fällen negativ in den inferioren Ableitungen und nahe dem folgenden
QRS-Komplex mit einem Verhältnis von P’R/RP’ < 1, wie bei den
Vorhoftachykardien, von denen sie teilweise schwer zu unterscheiden ist.
Selten ist die nodale Tachykardie durch einen ektopen Fokus bedingt, in
diesem Fall ist sie nicht immer regelmäßig und die P’-Wellen entweder
unsichtbar, da im QRS-Komplex versteckt, oder wie beim einem
Reentrymechanismus am Ende des QRS-Komplexes sichtbar.
Bei den typischen nodalen Tachykardien oszilliert die Frequenz um 160
bis 220/min. Die AV-Überleitung ist meist 1:1. Manchmal besteht bei
Beginn der Tachykardie ein funktioneller 2:1-Block. Das EKG ist dann
charakteristisch: Die negative P’-Welle in den inferioren Ableitungen
ist exakt in der Mitte zwischen den RR-Zacken positioniert, die Frequenz
der Kammern um 80-110/min. Die 1:1-Überleitung tritt nach einigen
Sekunden auf, meist einige Zeit mit einer aberranten Überleitung,
typischerweise als Rechtsschenkelblock.
Die negative P’-Welle kann auch in der Mitte des RR-Intervalls
positioniert sein, dies, wenn die Überleitung anterograd und retrograd
langsam ist, in diesem Fall spricht man von einer
“slow-slow”-AV-Knoten-Tachykardie.