Vor dem Beginn mit der Beschäftigung mit Herzrhythmusstörungen sollten
einige elektrophysiologische Grundlagen in Erinnerung gerufen werden.
Die ventrikulären Tachykardien (Kammertachykardie, KT)
Eine gelegentlich auftretende, ventrikuläre ektope Aktivität wird
ventrikuläre Extrasystolie genannt. Eine ventrikuläre oder
Kammertachykardie ist charakterisiert durch die gleiche Aktivität, aber
von drei oder mehr direkt aufeinanderfolgenden Schlägen. Man spricht von
einer nichtanhaltenden Tachykardie, wenn deren Dauer kürzer als 30
Sekunden ist. Eine anhaltende Tachykardie ist gekennzeichnet durch eine
Dauer von über 30 Sekunden oder wenn therapeutische Maßnahmen zur
Wiederherstellung der hämodynamischen Stabilität erforderlich sind.
Diese Tachykardien können monomorph (alle QRS-Komplexe besitzen die
gleiche Morphologie und die gleiche Achse) oder polymorph sein (die
Morphologie und die Achse ändert sich im Laufe der Tachykardie). Die
meisten Tachykardien treten im Rahmen von ischämischen Kardiomyopathien
auf und sind durch Mikroreentrys im Myokard bedingt. Die Tachykardien
können aber auch bei anderen Kardiomyopathien (arrhythmogene
rechtsventrikuläre Kardiomyopathie, kongenitale Kardiomyopathien) oder
sogar in einem gesunden Herzen auftreten (sogenannte idiopathische KTs).
Der QRS-Komplex hat in 90% der Fälle eine Dauer von > 120 ms; er
kann < 120 ms im Falle eines faszikulären Ursprungs sein. Die
Morphologie des QRS-Komplexes kann die Lokalisation des Ursprungs der
ventrikulären Tachykardie oder Extrasystole erlauben.
AV-Dissoziation
Während einer ventrikulären Tachykardie wird die Vorhofaktivität in der
Regel durch den Sinusknoten mit einer langsameren Frequenz bestimmt,
unabhängig von der Aktivität der Ventrikel. Mit anderen Worten, es
herrscht eine Dissoziation zwischen der Vorhof- und der
Ventrikelaktivität; dies wird durch unterschiedliche PP- und
RR-Intervalle charakterisiert.
Retrograde Konduktion: In 20% der Fälle kann eine retrograde Überleitung
vorhanden sein: Man beobachtet in diesem Fall eine in den inferioren
Ableitungen negative P’-Welle nach jedem QRS-Komplex; gelegentlich ist
auch eine Überleitung mit Wenckebachperiodik vorhanden (progressive
Verlängerung des RP’-Intervalls bis ein QRS-Komplex nicht von einer
P’-Welle gefolgt wird) oder eine 2:1 - Überleitung.
Anterograde Überleitung: Sie ist obligatorisch intermittierend und
präsentiert sich durch sogenannte Capture- oder Fusionbeats, welche in
das EKG eingestreut und beweisend für das Vorliegen einer ventrikulären
Tachykardie sind. Sehr viel seltener können gleichzeitig eine Vorhof-
und eine ventrikuläre Tachykardie bestehen (Vorhofflimmern, -flattern
oder -tachykardie), man spricht dann von einer “Bitachykardie”. Erinnern
wir uns, dass die verbreiterten QRS-Komplexe einer ventrikulären
Tachykardie völlig die Vorhofaktivität maskieren können. Man erkennt
die Wichtigkeit des Erkennens der AV-Dissoziation zur Diagnose einer
ventrikulären Tachykardie.
Capturebeats: Es kommt vor, dass eine Vorhofaktivität während einer KT
in dem Augenblick auf die Ventrikel übergeleitet wird, in dem die
Ventrikel nach der Refraktärperiode wieder erregbar sind. Es tritt also
ein schmaler QRS-Komplex zwischen zwei breiten Komplexen auf. Dieser
Komplex ist allerdings nur schmal, falls kein vorbestehender Block und
keine aberrante Überleitung besteht.
Fusionbeats (Fusionsschläge): Wie im Falle der Capturebeats wird eine
Vorhofaktivität auf die Kammern übergeleitet, in diesem Fall aber in dem
Moment, in dem die Depolarisation durch die KT bereits begonnen hat. Die
ventrikuläre Aktivität ist also sowohl supra- als auch ventrikulären
Ursprungs, welches gekennzeichnet ist durch eine intermediäre
Morphologie des QRS-Komplexes zwischen dem breiten QRS-Komplex der
ventrikulären Tachykardie und dem schmalen QRS-Komplex einer
Vorhoferregung.
Capture- und Fusionsbeats sind diagnostische Kriterien für das Vorliegen
einer ventrikulären Tachykardie.
Eine ventrikuläre Tachykardie kann schwierig von einer antidromen
Reentrytachykardie zu unterscheiden sein. In beiden Fällen erfolgt die
Erregung außerhalb der physiologischen Leitungsbahnen direkt über das
Myokard. In jedem Fall favorisiert eine tiefe S-Zacke in den Ableitungen
V4 bis V6 die Diagnose einer Kammertachykardie, genauso wie eine
qR-Morphologie in den präkordialen Ableitungen V2 bis V6.
Ventrikuläre Tachykardien bei gesundem Herzen (idiophatisch)
Unter diesen subsummiert man die infundibulären rechts- und
linksgelegenen Tachykardien (aus dem jeweiligen Ausflusstrakt) und die
faszikulären Tachykardien. Die rechte infundibuläre ventrikuläre
Tachykardie hat die Morphologie einer Linksverzögerung (prominente
S-Zacke in V1) mit einer vertikalen Achse. Die linksgelegene
infundibuläre ventrikuläre Tachykardie (manchmal auch aus der Gegend des
Sinus valsava) hingegen hat den Aspekt der Rechtsverspätung
(prädominante R-Zacke in V1) mit einer vertikalen Achse
.
Die faszikulären Tachykardien nehmen ihren Ursprung im Leitungsgewebe
des linken Herzens. Vom posterioren Faszikel ausgehend haben sie die
Morphologie eines Rechtsschenkelblocks mit einer linken Achse; vom
anterioren Faszikel ausgehend entspricht der QRS-Komplex einem
Rechtsschenkelblock mit rechter Achse. Wie bereits beschrieben, haben
diese Tachykardien prinzipiell eine benigne Prognose. Allerdings wurde
Kammerflimmern durch das “R-auf-T-Phänomen” beschrieben, welches für
sehr seltene Fälle von plötzlichem Herztod verantwortlich ist.
Rechtsventrikuläre arrhythmogene Dysplasie
Bei dieser, junge Patienten betreffenden Pathologie wird das Myokard des
rechten Herzens durch fibroadipöses Gewebe ersetzt; diese Inhomogenität
der kardialen Struktur favorisiert Reentrys und damit die Entstehung von
Tachykardien. Die Tachykardien haben die Morphologie einer
Linksverzögerung mit variabler Achse. Diese Pathologie ist einer der
Gründe für den plötzlichen Herztod im jungen Alter. Sie kann im EKG im
Sinusrhythmus durch persistierende T-Inversionen in weiteren
präkordialen Ableitungen außer V1 mit einer Knotung im terminalen Teil
der S-Zacke in V1-2 (Epsilon-Welle) und durch isolierte Extrasystolen
mit Linksverzögerung detektiert werden. Das EKG mit einer hohen
Amplifikation zeigt häufig Spätpotenziale.
Differentialdiagnostik der Breitkomplextachykardien
Die ventrikuläre Tachykardie aktiviert den Ventrikel im Gegensatz zur
supraventrikulären Tachykardie mit aberranter Überleitung vom muskulären
Anteil und nicht vom His-Purkinje-System aus. Da das Myokard wesentlich
langsamere Leitungseigenschaften als das His-Purkinje-System besitzt,
ist der QRS-Komplex deutlich deformierter und breiter als der einer
supraventrikulären Tachykardie mit aberranter Überleitung. Dies ist vor
allem zu Beginn der Depolarisation der Kammern, d.h. des QRS-Komplexes,
sichtbar. Aus diesem Grund stützen sich verschiedene Kriterien zur
Diagnose der ventrikulären Tachykardien auf die initiale Morphologie des
QRS-Komplexes: klare Konturen und schnelle Deflexionen während einer
aberranter Überleitung, unregelmäßige Konturen und verlangsamte
Deflexionen im Falle einer ventrikulären Tachykardie.
Die Breitkomplextachykardien umfassen die ventrikulären Tachykardien und
die supraventrikulären Tachykardien mit aberranter Überleitung sowie die
antidromen AV-Tachykardien. Die ventrikulären Tachykardien sind häufiger
(80%), die supraventrikulären Tachykardien seltener (15-20%) und die
antidromen AV-Tachykardien sehr selten. Verschiedene Algorithmen wurden
zur Diagnose und Differenzierung der Breitkomplextachykardien
entwickelt, keiner von diesen hat eine 100% Sicherheit. Die Algorithmen
verwenden verschiedene Kriterien des QRS-Komplexes während der
Tachykardie (Morphologie, Achse, Dauer) sowie der Vorhofaktivität und
unterscheiden sich durch die unterschiedliche Gewichtung der einzelnen
Kriterien. Sie wurden durch EKG-Spezialisten entwickelt und die
publizierten Resultate können nicht ohne weiteres auf den
nicht-spezialisierten Anwender übertragen werden. Zusätzlich wurden
diese Kriterien bei Patienten entwickelt, die nicht unter einer
antiarrhythmischen Medikation standen. Diese kann aber den QRS-Komplex
verändern und damit die Interpretation erschweren und eine präzise
Diagnose teilweise unmöglich machen.
Wichtige Elemente
Die Frequenz der Tachykardie erlaubt nicht die Differenzierung
zwischen einer supra- oder ventrikulären Tachykardie. Die
ventrikuläre Tachykardie ist meist regelmäßig, sie kann aber zu
Beginn oder bei Einnahme von antiarrhythmischer Medikation
unregelmäßig sein. Eine Tachykardie um 150/min sollte an ein
Vorhofflattern mit einer 2:1 - Überleitung denken lassen, unabhängig
von der QRS-Morphologie.
Aspekt des QRS-Komplexes in V1: Bei Vorhandensein einer tiefen
S-Zacke spricht man von einer “Linksverzögerung”, bei Präsenz einer
grossen R-Zacke von einer “Rechtsverzögerung”. Im Falle einer
QS-Morphologie von V1 bis V6 spricht man von einer negativen
Konkordanz, von einer positiven Konkordanz bei Vorhandensein einer
monophasischen R-Zacke in den präkordialen Ableitungen.
Eine Tachykardie mit breitem QRS-Komplex, die nicht den typischen
Kriterien eines Rechtsschenkel-, Linksschenkel- oder eines
Hemiblocks entspricht, sollte bis zum Beweis des Gegenteils als
ventrikuläre Tachykardie erachtet werden. Es ist also essentiell,
die EKG-Kriterien einer Aberration zu kennen.
Es sollte für jede Arrhythmie ein 12-Kanal-EKG aufgezeichnet werden,
solange die hämodynamische Situation dies zulässt. Bei einem
Myokardinfarkt in der Anamnese handelt es sich in 95% der Fälle bei
einer Breitkomplextachykardie um eine Kammertachykardie. Die
hämodynamische Toleranz ist kein Kriterium für eine KT; es gibt auch
KTs die sehr gut hämodynamisch toleriert werden.
Morphologie des QRS-Komplexes bei supraventrikulären Tachykardien mit aberranter Überleitung
Rechtsschenkelblock
Dreiphasiger QRS-Komplex in V1 bis V6.
rSR’-Morphologie in V1 und qRs in V6. Verhältnis R/S > 1 in V6.
Linksschenkelblock
r-Zacke < 30 ms in V1 und V2.
Schnelle Deflektion ohne Knotung in den S-Zacken in V1 und V2.
Dauer < 60 ms zwischen Beginn des QRS-Komplexes und dem Nadir
der S-Zacke in V1 und V2.
Elemente, die suggestiv für eine ventrikuläre Tachykardie sind.
Achse des QRS-Komplexes
Elektrische Achse im oberen rechten Quadranten (Extreme Abweichung
der Achse).
Achse < -30° bei Rechtsverzögerung.
Achse > 90° bei Linksverzögerung.
Dauer des QRS-Komplexes
> 140 ms bei Rechtsverzögerung.
> 160 ms bei Linksverzögerung.
Dauer des QRS-Komplexes während Tachykardie > Dauer des
QRS-Komplexes im Sinusrhythmus.
QRS-Morphologie
QRS-Morphologie nicht vom Typ einer Aberration eines
Rechtsschenkel-, Linksschenkel- oder Hemiblocks.
Negative Konkordanz in V1 bis V6.
Positive Konkordanz in V1 bis V6.
Veränderte QRS-Morphologie im Vergleich zum eventuell im
Sinusrhythmus präexistierenden Block.
Weitere Kriterien der QRS-Morphologie suggestiv für eine ventrikuläre Tachykardie
Bei Abwesenheit einer positiven oder negativen Konkordanz Intervall
zwischen Beginn der R-Zacke und dem Nadir der S-Zacke > 100 ms
in einer der präkordialen Ableitungen.
Initiale r-Zacke in aVR.
QR-Aspekt (außer in aVR).
Bei Vorliegen einer Rechtsverzögerung:
V1: Monophasiger Komplex, qR-Morphologie oder triphasig mit r’
< R.
V6: r/S < 1.
Verhältnis der initialen Aktivierung zu der terminalen Aktivierung
des QRS-Komplexes: < 1; dies wird in mV während der ersten 40
ms und der terminalen 40 ms desjenigen bi- oder polyphasigen
QRS-Komplexes gemessen, dessen Beginn plötzlich und die initiale
Aktivierung am schnellsten ist (in der Regel in einer der
präkordialen Ableitungen).
Bei Vorliegen einer Linksverzögerung:
In V1 oder V2:
r-Zacke ≥ 40 ms.
Knotung des deszendierenden Anteils der S-Zacke.
Dauer ≥ 60 ms von Beginn des QRS-Komplexes bis zum
Nadir der S-Zacke.
In V6
q-Zacke oder QS-Morphologie.
Das Kammerflattern
Man spricht von Kammerflattern, wenn die Frequenz der Kammern über
250/min beträgt. Die QRS-Komplexe sind verschmolzen und nehmen einen
sinusoidalen Aspekt in allen Ableitungen an.
Der idioventrikuläre akzelerierte Rhythmus
Dies ist eine Arrhythmie, die häufig bei einem akuten Myokardinfarkt im
Rahmen der Reperfusion auftritt. Dieser ventrikuläre Rhythmus besitzt
eine langsame Frequenz, meist zwischen 80 und 100/min, und es treten
häufiger als bei anderen ventrikulären Tachykardien Capturebeats auf.
Die Torsade de pointes-Tachykardie
Es handelt sich um eine polymorphe ventrikuläre Tachykardie, bei der
sich die Achse der breiten QRS-Komplexe ändert: von positiv nach negativ
und vice-versa, die Achse der QRS-Komplexe dreht sich um eine Grundlinie
im Rahmen von 10 bis 12 QRS-Komplexen. P-Wellen sind nicht sichtbar. Das
EKG ist sehr charakteristisch. Eine Torsade de pointes-Tachykardie tritt
in der Regel bei einer deutlichen Verlängerung der QT-Zeit auf. Diese
Verlängerung kann bedingt durch angeborene Störungen oder erworben sein
(siehe Kapitel VI). Beide Fälle können zu Torsade de
pointes-Tachykardien führen. Es gibt einen wichtigen Unterschied
zwischen den zwei Fällen: bei erworbener QT-Verlängerung kommt es im
Rahmen einer Bradykardie und bei kongenitaler QT-Verlängerung im Rahmen
einer adrenergen Stimulierung zu den Tachykardien.
Das Kammerflimmern
Es handelt sich um eine ventrikuläre Arrhythmie mit extrem hoher
Frequenz, völlig desorganisiert und charakterisiert durch eine komplette
Dyssynchronie der Kammern. Die QRS-Komplexe sind verschwunden und durch
eine polymorphe, unorganisierte elektrische Aktivität ersetzt. Diese
Arrhythmie ist hämodynamisch ineffektiv und führt zum Tod, eine schnelle
Therapie in Form einer Defibrillation ist erforderlich.