Die Koronarinsuffizienz stört die Generierung der elektrischen Aktivität
sowie das Aktions- und das Ruhepotenzial. Sie kann sich durch drei
verschiedene Schweregrade manifestieren, welche die unterschiedlichen
Ausmaße der Hypoxämie beschreiben: die Ischämie, die Läsion und die
Nekrose. Die Anomalien sind polymorph und betreffen den QRS-Komplex, die
ST-Strecke und die T-Welle.
Die drei Schweregrade provozieren jeweils unterschiedliche Veränderungen
im EKG.
Die Lokalisation der Ischämie
Im EKG lassen sich die Modifikationen in den einzelnen Ableitungen den
Territorien der betroffenen Arterien zuordnen. Es gibt eine gute
Korrelation zwischen den Modifikationen in den Ableitungen und der
betroffenen Koronararterie. Wenn die rechte Kranzarterie betroffen ist,
sind die EKG-Veränderungen überwiegend in den inferioren Ableitungen zu
beobachten, d.h. in den Ableitungen II, III und aVF.
Inferiore Ischämie
Subepikardial: Die T-Wellen sind negativ in II, III und aVF.
Subendokardial: Die T-Wellen sind positiv und von hoher Amplitude in
II, III und aVF.
Anteroseptale Ischämie
Subepikardial: Die T-Wellen sind abgeflacht, biphasig oder negativ
in V1-V3, gelegentlich auch in V4.
Subendokardial: Die T-Wellen sind positiv, die Amplitude erhöht und
spitz in V1-V3, gelegentlich auch in V4.
Anteriore Ischämie
Subepikardial: Die T-Wellen sind negativ in V1 bis V5 oder V6.
Subendokardial: Die T-Wellen sind spitz und sehr positiv in V1 bis
V5 oder V6.
Laterale Ischämie
Subepikardial: Flache, biphasige oder invertierte T-Wellen in I,
aVL, V5, V6.
Subendokardial: Die T-Wellen sind von hoher und spitzer Amplitude,
symmetrisch und positiv in I, aVL, V5 und V6.
Inferiore Läsion
Subepikardial: ST-Hebung in II, III und aVF.
Subendokardial: ST-Senkung in II, III und aVF.
Anteroseptale Läsion
Subepikardial: ST-Hebung in V1-V3, teilweise V4.
Subendokardial: ST-Senkung in V1-V3, teilweise V4.
Anteriore Läsion
Subepikardial: ST-Hebung in V1-V6.
Subendokardial: ST-Senkung in V1-V6.
Laterale Läsion
Subepikardial: ST-Hebung in I, aVL, V5, V6.
Subendokardial: ST-Senkung in I, aVL, V5, V6.
Die Anzahl der Ableitungen mit ST-Senkung hat einen prognostischen Wert.
Es besteht eine Korrelation dieser Anzahl mit dem Ausmass und der
Schwere der koronaren Herzerkrankung. Eine ST-Senkung in mindestens 8
Ableitungen, assoziiert mit einer ST-Hebung in V1 und aVR, ist suggestiv
für eine Dreigefässerkrankung oder eine Stenose im Bereich des
Hauptstamms.
ST-Hebung in den präkordialen Ableitungen
Wie beim QRS-Komplex kann die ST-Hebung durch einen Vektor repräsentiert
werden. Die Richtung dieses Vektors erlaubt die Lokalisation der
Okklusion des Ramus interventricularis anterior (RIVA), welche für den
anterioren Infarkt verantwortlich ist. Allerdings sollte man bedenken,
dass eine Variabilität bezüglich der Verteilung und Abgänge der
einzelnen Äste besteht, welches die unterschiedlichen
elektrokardiographischen Ausprägungen der Veränderungen beim anterioren
Infarkt erklärt.
Proximale Okklusion: ST-Hebung in V1 bis V4, aVR und aVL; ST-Senkung
in II, III, aVF, isoelektrisch oder gesenkt in V5-6.
Okklusion nach dem 1. Septalast, aber vor dem 1. Diagonalast:
ST-Hebung in V2 bis V5, I und aVL; ST-Senkung in III.
Okklusion distal des 1. Diagonalasts, aber proximal vor dem 1.
Septalast: ST-Hebung in V1 bis V5, III, aVR; ST-Senkung in I
und aVL.
Okklusion distal des 1. Septalasts und 1. Diagonalasts: ST-Hebung in
V2 bis V6, II, III, aVF (II $\gtr$ III); ST-Senkung in aVR.
ST-Hebung in den inferioren Ableitungen
Eine ST-Hebung in den inferioren Ableitungen kann durch ein Problem im
Bereich der rechten Koronararterie oder des Ramus circumflexus der
linken Koronararterie bedingt sein.
Rechte Koronararterie: Die ST-Hebung ist stärker ausgeprägt in III
als in II, assoziiert mit einer ST-Senkung in I. Bei einer Okklusion
proximal (proximal der rechten Marginaläste) besteht eine ST-Hebung
von $\gtr$ 1mm in V4R mit einer positiven T-Welle. Dies reflektiert
die rechtsventrikuläre Beteiligung. Die ST-Strecke ist isoelektrisch
und die T-Welle positiv in V4R, wenn sich die Okklusion distal
befindet.
Okklusion des Ramus circumflexus: Die ST-Hebung ist höher in II als
in III; isoelektrische oder gehobene ST-Strecke in I, isoelektrische
oder gesenkte ST-Strecke mit negativer T-Welle in V4R.
Bei einer “posterioren” Beteiligung ist die ST-Strecke in den
präkordialen Ableitungen gesenkt, bei lateraler Beteiligung besteht eine
ST-Hebung in I, aVL, V5 und V6.
Nekrose
Das EKG-Bild hängt vom nekrotischen Territorium ab, die Q-Zacken sind
wie folgt sichtbar:
Ausgedehnte anteriore Nekrose: EKG-Zeichen (QR oder QS) in allen
präkordialen Ableitungen von V1 bis V6, I und aVL.
Anteroseptale Nekrose: QS-Aspekt in V1 bis V3, teilweise in V4. Die
Q-Zacke erklärt sich durch das Verlorengehen der R-Zacke, welche die
initiale Aktivierung des Septum widerspiegelt.
Apikale Nekrose: Q-Zacken in V3 und V4.
Laterale Nekrose: QS- oder QR-Konfiguration in V5, V6, I und aVL.
Meist zeigt sich eine QR- oder qR-Morphologie, da häufig gesundes
Myokard benachbart zur Nekrose bestehen bleibt. Manchmal ist die
q-Zacke klein und es ist damit schwierig, den Infarkt
zu diagnostizieren.
Inferiore Nekrose: QS oder qR in II, III und aVF ( und ). Wenn
lediglich eine Q-Zacke in einer dieser Ableitungen vorhanden ist,
sollte das EKG bei maximaler Inspiration wiederholt werden, da
einige q-Zacken (vor allem in der Ableitung III) positionsabhängig
sein können. Dies ist bedingt durch die Modifikationen der Lage des
Herzens im Thorax während des Atemzyklus.
“Posteriore” Nekrosen: Diese Nekrosen sind häufig mit inferioren
Nekrosen assoziiert. Wenn sie isoliert auftreten, findet sich eine große
R-Zacke in V1. Bei einer inferioren Nekrose sollte das EKG durch die
rechten Ableitungen komplettiert werden, welche während der ersten 12
Stunden eines Infarkts bei einer Ischämie des rechten Ventrikels
Veränderungen zeigen können (V4R).